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Pressemitteilung | 02/2023

Neuköllner Angriffsserie – Betroffene und Expert_innen kritisieren fehlendes Aufklärungsinteresse des Gerichts

MBR Berlin

Berlin, 07. Februar 2023

Im Strafprozess zur rechtsextremen Angriffsserie in Neukölln wird heute voraussichtlich das Urteil gegen den zweiten Hauptverdächtigen Sebastian T. verkündet. Betroffene und Expert_innen kommentieren den Verlauf des Prozesses:

Ferat Koçak, war Betroffener von einem der angeklagten Brandanschläge und trat als Nebenkläger auf. Er kritisiert, dass er diesen Status erst erkämpfen musste und der Prozess den Betroffenen nicht das erhoffte Sicherheitsgefühl zurückgab:
„Der Prozess hat sich leider nahtlos in meine Erfahrungen mit Sicherheitsbehörden und Justiz eingereiht. Zu Beginn des Prozesses wollte die vorsitzende Richterin mich nicht als Nebenklägerin zulassen, weil sie meine Betroffenheit und mein psychisches Trauma anzweifelte. Ebenso wurden unsere Anträge zur Berücksichtigung von Überwachungsprotokollen des Verfassungsschutzes als Beweismaterial abgelehnt. Der Prozess und das zu erwartende Urteil bedeuten für uns als Betroffene, dass wir weiter mit Nazi-Terror rechnen müssen. Zu keinem Zeitpunkt wurde im Prozess deutlich, dass es sich hier um ein organisiertes rechtes Netzwerk handelt. Stattdessen wird wieder die Erzählung von Einzeltäter_innen bemüht. Daher ist es für mich wichtig, dass wir uns antifaschistisch und antirassistisch organisieren, um den öffentlichen Druck zu verstärken. Denn wie die Holocaust-Überlebende Esther Bejarano sagte: „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen!“

Heinz Ostermann, war in drei Fällen Betroffener der rechtsextremen Angriffsserie. Er sagte als Zeuge im Prozess wegen einer der Brandstiftungen aus. Er sieht die rechtsextreme Szene bestärkt:
„Es war schon mega enttäuschend, dass nur bei zwei von 15 Brandanschlägen seit 2016 Klage gegen die Hauptverdächtigen erhoben wurde. Für die Ermittlungsbehörden ist der mögliche Freispruch eine Ohrfeige. Für die Betroffenen ist er eine Katastrophe. Die freigesprochenen Tatverdächtigen mit ihrer Kameradschaft fühlen sich logischerweise bestärkt, mit ihrem rechten Terror weiterzumachen. Nach endgültigem Freispruch können sie für diese Taten – so frustrierend es ist – nie mehr belangt werden.“

Claudia von Gélieu, war Betroffene eines rechten Brandanschlags in Neukölln. Ihr Fall wurde nicht angeklagt und sie wurde nicht als Zeugin angehört. Sie resümiert:
„Ich fühle mich vom Rechtsstaat im Stich gelassen. Wann gibt es eine Anklage wegen der anderen rechten Gewalttaten? Wozu brauchen wir einen Verfassungsschutz, der die rechte Szene und damit die Angeklagten beobachtet, dessen Erkenntnisse aber nicht in einem Strafverfahren herangezogen werden? Und was ist mit der Polizei, die bei Überwachungsmaßnahmen nicht gegen Straftaten einschreitet und im Zeugenstand vor Gericht auf begrenzte Aussagegenehmigung verweist?“

Bianca Klose, Projektleiterin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin berät Betroffene der Angriffsserie. Ein Kollege von ihr wurde selbst zum Ziel eines Angriffs und sagte im Prozess als Zeuge aus. Sie sieht eine Möglichkeit der Aufklärung vertan:
„Von Beginn an deutete sich an, dass die politische Dimension der Taten klein gehalten werden sollte und kein Interesse an umfassender Aufklärung bestand – es ist ärgerlich, dass der Prozess so weit hinter seinen Möglichkeiten zur juristischen Aufarbeitung zurückgeblieben ist. Das Gericht hat nicht einmal versucht, Versäumnisse der Ermittlungen wenigstens zum Teil aufzuholen. Die Rolle des ‚Nationalen Widerstand Berlin’ – Keimzelle des Modus Operandi der späteren Angriffsserie – wurde komplett ausgeblendet, im Prozess wurden weder Netzwerke, mögliche Helfer_innen und Mittäter_innen noch die Quellen, aus denen sie die Daten der Angegriffenen erhielten, beleuchtet. Statt Antworten zu erhalten, stehen die Betroffenen nun mit mehr Fragen da als zuvor. Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack: Für uns als jahrelange Beobachter_innen und Beratungseinrichtung, aber auch für die antifaschistische Kultur in dieser Stadt insgesamt. Eine weitere Chance zur Aufklärung, die ungenutzt bleibt.“

Pressekontakt:

Die Zitierten stehen in der Mittagspause des Gerichts für Interviews zur Verfügung.

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin
Tel.: 030 817 985810 | Mail: presse@mbr-berlin.de
Gleimstraße 31 | 10437 Berlin

Die Pressemitteilung kann hier über die Website der MBR Berlin abgerufen werden.

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