Berlin, 4. Dezember 2023
Wie hat sich die extreme Rechte 2023 entwickelt? Und was haben demokratisch Engagierte dagegen unternommen? In seinem ersten Jahresrückblick zieht der Bundesverband Mobile Beratung Bilanz und stellt Forderungen an die Politik. Der Bericht zeigt:
- Rechtsextremismus ist näher gerückt und spürbar in den Alltag vieler Menschen vorgedrungen. Das hat vor allem drei Gründe: Die extrem rechte AfD ist erfolgreicher denn je, ihre Narrative werden immer häufiger von Vertreter*innen demokratischer Parteien übernommen. Aus den Corona-Protesten ist ein stabiles, antidemokratisches Protestmilieu entstanden, das jede Krise verschwörungsideologisch auflädt. Zudem haben Rechtsextreme vielerorts Immobilien gekauft und sind so weiter in die Sozialräume vorgedrungen.
- Die demokratische Zivilgesellschaft hat darauf reagiert und 2023 zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus die Stirn zu bieten. Mit Gegendemos, breiten Bündnissen sowie Aufklärungs- und Bildungsarbeit ist es Demokratieprojekten und Engagierten vor Ort oft gelungen, die Handlungsfähigkeit der extremen Rechten einzuschränken.
- Doch demokratisches Engagement ist gefährdeter denn je: Viele Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen, sind ermüdet, fühlen sich allein und von der Politik im Stich gelassen, werden bedroht und angefeindet. Das gilt vor allem für Regionen, in denen demokratische Parteien die viel beschworene „Brandmauer“ zur AfD eingerissen haben – durch vertraute Gespräche auf dem Flur, ein Bier in der Kneipe oder gemeinsame Abstimmungen im Parlament.
- Bei den Landtags- und Kommunalwahlen 2024 könnte die AfD weitere Gewinne einfahren. Umso wichtiger ist es, dass sich Politiker*innen jetzt an die Seite von demokratisch Engagierten stellen, sie nachhaltig unterstützen und schützen. Das heißt zum einen: Die Ampelkoalition muss endlich das versprochene Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen, damit Mobile Beratung und andere Demokratieprojekte langfristig abgesichert sind und Engagierten die Unterstützung geben können, die sie brauchen. Das heißt aber auch: Politiker*innen müssen sich klar von der AfD abgrenzen und demokratische Antworten auf die Probleme unserer Zeit finden, statt „Lösungen“ anzubieten, die gesellschaftliche Gruppen gegeneinander ausspielen. Die Übernahme rechtsextremer Forderungen ist kein Mittel gegen Rechtsextremismus. Im Gegenteil: Sie spielt der AfD in die Hände – und entmutigt diejenigen, die progressiv für die Gesellschaft einstehen wollen.
Dominik Schumacher, Vertreter des Bundesverbands Mobile Beratung:
„Die jüngsten Verbote rechtsextremer Gruppen durch das Bundesinnenministerium sind notwendig, aber nicht hinreichend. Der allergrößte Teil extrem rechter Aktivitäten findet im legalen Bereich statt: im Alltag der Menschen, die wir beraten, in der Kita, in der Schule, in der Nachbarschaft, im Verein. Die Menschen dort sind – auch nach den Verboten der ‚Hammerskins‘ und ‚Artgemeinschaft‘ – mit denselben extrem rechten Akteur*innen, Narrativen und Bedrohungen konfrontiert. Um dagegen aktiv zu werden, brauchen diese Menschen nicht nur professionelle Unterstützung durch Beratungsstellen wie uns, sondern auch politische Rückendeckung. Andernfalls wird die extreme Rechte 2024 weiter vordringen.“
Prof. Dr. Beate Küpper, Rechtsextremismus-Forscherin an der Hochschule Niederrhein:
„Die Erkenntnisse der Mobilen Beratung spiegeln sich in einem drastischen Anstieg demokratiegefährdender Einstellungen in der breiten Bevölkerung. 8,3 Prozent teilen ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, weitere 20 Prozent bewegen sich in einem Graubereich. Demokratiefeindliche Positionen sind selbstbewusster geworden, koppeln sich an politische Gewalt und erreichen zunehmend die Mitte der Gesellschaft. Das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus selbst steht unter gezielter Bedrohung durch die äußerste Rechte. Gefragt sind jetzt Schutz durch die Sicherheitsorgane, Rückendeckung durch die Politik und die klare Positionierung gegen Rechtsextremismus durch alle Demokrat*innen.“
Dorothea Schneider, Vorsitzende des Vereins „Augen auf – Zivilcourage zeigen“ in Zittau:
„Angesichts der gesammelten Erkenntnisse über demokratiefeindliche Strukturen und Tendenzen könnte man schnell den Mut verlieren. Doch dem gegenüber stehen engagierte Menschen, die im persönlichen Einsatz Rechtsextremismus die Stirn bieten – das meist unter schlechten Bedingungen und Konsequenzen für sie selbst, wie der Jahresrückblick der Mobilen Beratung zeigt. Demokratiearbeit muss auf sichere Beine gestellt werden, um langfristig zu wirken. Aber vor allem müssen die Akteur*innen, Träger und Vereine endlich ernst genommen werden. Es muss aufhören, dass sie immer wieder ihre Arbeit rechtfertigen und ihr Handeln erklären müssen. Sie sind die Expert*innen vor Ort.“
Der Jahresrückblick als PDF finden Sie hier.
Pressekontakt
Jennifer Pross
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