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Wahlplakat von hinten
Bundesverband Mobile Beratung

Wahlnachlese | 06/2019

Nach den Wahlen: Angriffe werden stärker

Der BMB ist als Dach- und Fachverband von ca. 150 Mobilen Berater*innen mit 36 Trägerstrukturen Mobiler Beratung gegen Rechtsextremismus in allen Bundesländern vertreten. Seit 25 Jahren wird in Deutschland Kommunalberatung zur Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Rassismus und menschenverachtenden Einstellungen angeboten und sukzessive weiterentwickelt. Wir begleiten Bürger*innen dabei Wege zu finden, wie Demokratie und Menschenrechte in ihrem Lebens- und Berufsumfeld gestärkt werden können.

„Das ist gerade in Zeiten, da rechte Diskurse aus der Mitte der Gesellschaft befeuert werden und damit verbunden eine Normalisierung von Rassismus und Rechtspopulismus voranschreitet, von vitalem gesellschaftlichen Interesse“, sagt Grit Hanneforth, Sprecherin im BMB, und ergänzt: „Unsere Arbeit ist eine unverzichtbare Ressource für alle, die den aktuellen Rechtsruck der Gesellschaft nicht hinnehmen wollen und denen an einer demokratischen Alltagskultur auf Grundlage der unveräußerlichen Menschenrechte gelegen ist.“

Länderübergreifende Analyse zu den Wahlen

Aus dieser Perspektive werfen wir nachfolgend einen analysierenden Blick auf die mit den Wahlerfolgen der AfD bei den Europawahlen und den Kommunalwahlen in 10 Bundesländern verbundenen gesellschaftlichen Entwicklungen. Darüber hinaus stellen wir eine Übersicht zu den Wahlergebnissen für sieben Bundesländer, in denen auch kommunal gewählt wurde, aus der Perspektive der zuständigen Beratungsteams zur Verfügung. Mit Bezug zu den EU- und Kommunalwahlen lässt sich folgendes länderübergreifend feststellen:

  • Die Wahlbeteiligung ist erfreulicherweise gestiegen und spiegelt eine gestärkte Aufmerksamkeit der Bürger*innen für politische Debatten.
  • Die Wahlergebnisse zeigen in allen Bundesländern erhebliche Verluste bei den ehemaligen großen Volksparteien und eine erhebliche Differenz zwischen den Zustimmungswerten für die AfD in Ost- und Westdeutschland.
  • Die AfD konnte ihr Ergebnis bei den EU-Wahlen bundesweit von 7,1 auf 11 Prozent steigern und hat sich auf kommunaler Ebene weiter etabliert. In Sachsen und Brandenburg wurde die AfD bei der Europawahl stärkste Kraft, in Thüringen belegt sie knapp hinter der CDU Platz zwei. Diese Wahlergebnisse werden der AfD Schwung für die anstehenden Landtagswahlen in diesen drei ostdeutschen Bundesländern geben.

Die ihr somit zur Verfügung stehenden Ressourcen wird die AfD nutzen, um als politische Gegner markierte Gruppierungen und Bevölkerungsgruppen sowie Religionsgemeinschaften, Verbände und öffentlich-rechtliche Medien noch massiver unter Druck setzen als bisher. Diese Prognose lässt sich mit Forderungen aus dem sogenannten „Regierungsprogramm“ der sächsischen AfD nach dem Wahlsonntag erhärten, die so oder ähnlich auch in anderen Bundesländern erhoben werden: So will die AfD Geldleistungen für Asylbewerber*innen auf Sachleistungen umstellen, die freie Kunst- und Kulturszene finanziell beschränken und stattdessen „identitätsstiftende“ Kultur als „Spiegel des Selbstverständnisses der sächsischen Bürger“ fördern. Ähnlich verhält es sich mit der Förderung der Jugendhilfe. Der AfD politisch nicht genehme Träger sollen von einer Förderung ausgeschlossen werden.

Herbe Verluste für neonazistische Parteien

Der Stimmenzuwachs bei der AfD führt in allen Ländern zu herben Verlusten für neonazistische Parteien. So verlor der letzte NPD-Abgeordnete im EU-Parlament, Udo Vogt, sein Mandat. Gleichzeitig finden wir in unterschiedlicher Ausprägung zahlreiche extrem rechte Kandidat*innen auf den Listen der AfD.

Auch wenn sich der Blick in Sachsen, Brandenburg und Thüringen nun auf die kommenden Landtagswahlen richtet, ist der Fokus auf die kommunale Ebene ebenso wichtig: Die Stimmenverluste von CDU und SPD und der teilweise massive Stimmenzuwachs der AfD in ostdeutschen Kommunen fordert die Gemeinde- und Stadträte und Kreistage deutlicher heraus als bisher: Nicht nur die Anträge der AfD zu den Themen Flucht und Asyl, Kunst und Kultur sowie Jugendarbeit müssen sensibel beobachtet und durch parlamentarische Mehrheiten von Demokrat*innen zurückgewiesen werden. Ebenso herausfordernd ist es, dass kommunale Gremien, aber auch bspw. Partnerschaften für Demokratie des Bundesprogrammes „Demokratie leben!“, zukünftig von AfD-Politiker*innen massiver als bisher mitbestimmt werden können.

Zivilgesellschaftliche Bündnisse, alternative Jugendkultur und die inhaltliche Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und anderen menschenverachtenden Einstellungen in den Regionen sind damit stark gefährdet. Das Wahlergebnis ist eine Katastrophe für Menschen, die von Rassismus, Homophobie oder anderen Diskriminierungen betroffen sind und in Deutschland ihre Heimat haben.

Wahlergebnisse auf Landesebene

Die folgenden EU- und Kommunalwahlergebnisse sind länderweise alphabetisch sortiert und aus Sicht der Mobilen Beratung analysiert.

Baden-Württemberg
EU-Wahl

Aus dem Landesverband der AfD Baden-Württemberg traten zur Europawahl Jörg Meuthen und Lars Patrick Berg an. Bemerkenswert ist, dass die AfD trotz des Parteispendenskandals um Alice Weidel und dem aktuell wieder eskalierenden Dauerstreit im Landesverband in Baden-Württemberg im Vergleich zu den anderen westdeutschen Bundesländern mit 10,0% am stärksten abgeschnitten hat (knapp vor Hessen und Berlin mit 9,9% und Rheinland-Pfalz mit 9,8%). Mit Joachim Hans Kuhs zog noch ein dritter Abgeordneter aus BaWü ins EU-Parlament ein. Er wurde außerdem auch in den Gemeinderat Baden-Badens gewählt (vgl. Dokument).

Kommunalwahl

Die AfD kann das Ergebnis der Landtagswahl 2016 (15,1%) auf Kommunalebene nicht halten. In den Universitätsstädten schneidet sie mit z.T. unter 5% deutlich schwächer ab, in ländlichen Regionen und weniger akademisch geprägten Städten ist sie stärker. So ist die AfD in Pforzheim mit 14,9% sehr nah am Ergebnis der Landtagwahl und erhält dort das beste Ergebnis in Baden-Württemberg nach aktuellem Stand. Relativ stark ist sie ebenfalls in Städten wie Mannheim und Heilbronn mit jeweils 9,7%.

Die AfD hat es in fast alle Kreistage und Gemeinderäte geschafft, konnte jedoch nicht überall vollständige Listen vorlegen und hat damit Stimmen verschenkt. Mit wenigen Ausnahmen aus dem Milieu der Republikaner, christlicher Fundamentalisten und (extrem) rechter Burschenschaftler, ist die Mehrheit der künftigen MandatsträgerInnen politisch unbekannt. Darüber hinaus ist die AfD in den Kommunen, wie auch auf Bundes- und Landesebene, stark männlich dominiert.

Hintergrundinfos Baden-Württemberg

Brandenburg
Die AfD wird bei der Europawahl 2019 mit 19,9 Prozent stärkste Kraft vor der CDU mit 18 Prozent und der SPD mit 17,2 Prozent. Gegenüber 2014 (8,5 Prozent) kann die AfD ihre Stimmenanteile damit mehr als verdoppeln. Das kumulierte Ergebnis der Kommunalwahlen für die AfD liegt bei 15,9 Prozent der Stimmen gegenüber 3,9 Prozent im Jahr 2014.

Schaut man sich die Reaktionen auf die Wahlergebnisse vom 26. Mai 2019 an, fallen in Brandenburg zwei Grundströmungen auf. Einerseits reagieren Brandenburger mit großem Unverständnis und Unsicherheit auf die Ergebnisse. Wie gehen sie damit um, dass in ihrem Dorf fast die Hälfte AfD gewählt haben? Was bedeutet das für sie und ihren nachbarschaftlichen Umgang? Wie reagieren andere, wenn diese erfahren, dass sie in solchen Orten wohnen? Anderseits lässt sich eine enorme Medienwelle wahrnehmen, die versucht das „Problem“ im Osten zu erklären. Diese Welle führt zu Stigmatisierungen, die bestimmte Sichtweisen verfestigen.

Für eine umfassende Wahlanalyse steht aktuell noch zu wenig Datenmaterial zur Verfügung. Frühere Studien haben aber gezeigt, dass die Motivation rechtspopulistische Parteien zu wählen sehr breit ist. Eindimensionale Erklärungen greifen deutlich zu kurz.

Hintergrundinfos Brandenburg

Mecklenburg-Vorpommern
Bei den Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern war eine Fortsetzung der Europa- und bundesweiten Wahltrends zu beobachten: Die Wahlbeteiligung stieg deutlich auf insgesamt 57,6%, die CDU blieb unter großen Einbußen stärkste Kraft, SPD und Linke verloren prozentual ebenfalls an Stimmen und die Grünen legten deutlich zu. Die größten Stimmenzuwächse konnte jedoch in allen Kreisparlamenten die AfD für sich verzeichnen. Landesweit verbesserte sie ihr Ergebnis von 4,2% auf 14% im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2014. Damit ist die rechtspopulistische Partei erstmals in allen Kreistagen des Landes in Fraktionsstärke vertreten, vielerorts als zweit- oder drittstärkste Kraft.

Die NPD hingegen setzte ihren elektoralen Niedergang weiter fort und verschlechterte sich von 3,2% auf 1,3% und stellt damit insgesamt nur noch 7 Kommunalwahlvertreter in den 6 Flächenlandkreisen, davon zwei im Kreistag Vorpommern-Greifswald. Angesichts des umfangreichen Stimmenzuwachses der AfD ist zu erwarten, dass sich die zukünftige Arbeitskultur der Kommunalparlamente maßgeblich verändern wird. Inwieweit die bisherige Strategie der weitgehenden Nichtzusammenarbeit mit der AfD durch die anderen Parteienvertreter*innen aufrechterhalten wird, bleibt abzuwarten.

Auch in zahlreichen Gemeindevertretungen ist die AfD nun präsent, in der Stadt Wolgast erhielt sie dabei die meisten Stimmen vor der CDU. Die NPD wird ebenfalls weiterhin in vereinzelten Gemeindevertretungen sitzen, in Anklam erreichte beispielsweise der ehemalige Landtagsabgeordnete Michael Andrejewski das zweitbeste Ergebnis aller Bewerber*innen.

Sachsen
EU-Wahl

Die AfD hat die Europawahlen in Sachsen mit 25,3 % der Stimmen gewonnen und konnte damit ihr Bundestagsergebnis von 2017 bestätigen. Das bedeutet, dass die AfD nach mittlerweile zwei Wahlen mit relativ hoher Wahlbeteiligung die stärkste Partei in Sachsen ist. Die CDU ist auf 23,0 % abgestürzt.

Kommunalwahl

Das kumulierte Ergebnis der Kommunalwahlen für die AfD liegt bei ca. 21 % der Stimmen. Die CDU kommt auf 25,8 %. In einzelnen Gemeinden, wie z.B. Wurzen, Lößnitz, Jahnsdorf, Schwar-zenberg, Niederdorf und Geithain sind Neonazis über freie Wählerlisten in die Gemeinde- und Stadträte eingezogen. Das ist aber kein flächendeckendes Phänomen. Die NPD hat ihr schlechtestes Ergebnis seit 1999 eingefahren. Aber es gibt nach wie vor kleinere Hochburgen, wie z.B. Reinhardtsdorf-Schöna, wo die Partei wieder 19 % holen konnte.

Kommunale Gremien und Partnerschaften für Demokratie des Bundesprogrammes „Demokratie leben!“ werden zukünftig von AfD-Politiker*innen mitbestimmt. Zivilgesellschaftliche, alternative und linke Strukturen in den Regionen sind stark gefährdet. Das Wahlergebnis ist eine Katastrophe für Menschen die von Rassismus, Homophobie oder anderen Diskriminierungen betroffen sind und in Sachsen ihre Heimat haben.

Hintergrundinfos Sachsen

Sachsen-Anhalt
In Sachsen-Anhalt fand, wie in einigen anderen Bundesländern, parallel zur Europawahl die Kommunalwahl statt. Wie im bundesweiten Durchschnitt konnte auch in Sachsen-Anhalt eine deutlich gestiegene Wahlbeteiligung verzeichnet werden. Bei der Europawahl fiel diese mit 54,7% noch um fast einen Prozentpunkt höher aus als bei den Kommunalwahlen. Bei den letzten Wahlen 2014 lag diese bei jeweils 43%.

Offen rechtsextreme Parteien hatten keine Chance in das EU-Parlament einzuziehen, bei der Kommunalwahl bekamen sie nur noch den Bruchteil ihrer bisherigen Stimmen und damit deutlich weniger Mandate als 2014. Zahlreiche extrem rechte Kandidat*innen konnten auf den Listen der AfD kandidieren. Sowohl bei der Europa- als auch bei der Kommunalwahl landete die AfD in Sachsen-Anhalt auf dem zweiten Platz hinter der CDU. Hervorstechend sind die deutlich geringeren Stimmenanteile der AfD bei den Kommunalwahlen. Besonders dort fallen deutlich abweichende Ergebnisse in den Regionen des Bundeslandes sowie ein offensichtliches Land-Stadt-Gefälle zu Ungunsten der AfD auf.

Hintergrundinfos Sachsen-Anhalt

Saarland
Auch wenn die Ausschläge der Gewinne und Verluste weniger stark ausgeprägt sind, liegen die saarländischen EU-Wahlergebnisse im bundesweiten Trend. CDU und insbesondere die SPD haben an Zustimmung verloren; die Grünen sind die großen Gewinner der EU-Wahl und die AfD bleibt knapp unter der 10% Marke. Bei den Kommunalwahlen bleiben unterm Strich sowohl CDU als auch SPD über 30%; die Grünen verzeichnen auch hier den größten Zuwachs und kommen auf 11%. Die AfD liegt knapp unter 5%. Nur vereinzelt kam die AfD bei der Kommunalwahl über 10%. Ähnlich sieht es bei den Personenwahlen (Bürgermeister*in / Landrät*in) aus. Neben parteilosen Kandidaten setzten sich ausschließlich die Kandidaten von CDU und SPD durch. Auch hier blieben die Kandidaten der AfD – wenn überhaupt zur Wahl stehend – alle unter 10%. Die Wahlbeteiligung lag bei über 65%.
Thüringen
Insgesamt ist deutlich zu sehen, dass überall dort, wo die AfD ihre Höchstwerte erreichen konnte, die klassischen Neonazi-Parteien deutlich an Wähler*innenstimmen verloren haben – das Auftreten der AfD hat somit zum Ausbluten der klassischen Neonazi-Parteien geführt. Im Vergleich zu klassischen Neonazi Parteien, welche durch eine höhere Wahlbeteiligung in der Gesamtbetrachtung Prozente verlieren, gewinnt die AfD zudem dadurch an Stimmen.

Hintergrundinfos Thüringen

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