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Stapel zusammengehefteter Zettel
Bundesverband Mobile Beratung

Dossier | 03/2022

Rechte Ökologie? Perspektiven und Material aus der Mobilen Beratung

Rechte Ökologie: beispielhafte Herausforderungen

In einer größeren Kommune will ein Verein einen Gemeinschaftsgarten auf einer städtischen Fläche einrichten. Ein Vorstandsmitglied des Vereins ist Aktivist der rechten Corona-Proteste in der Stadt, die Initiative beruft sich zudem auf rechts-esoterische und antisemitische Vordenker*innen. Die damit befassten städtischen Ämter wissen um diese Hintergründe und die Mitarbeitenden müssen sich mit der Anfrage auseinandersetzen: Ist das „nur ein Garten“, vielleicht sogar begrüßenswertes bürgerschaftliches Engagement? Oder widerspricht es demokratischen Grundhaltungen, für die auch die Behörde eintreten will?

Ist es „nur ein Garten“? Oder widerspricht es Grundhaltungen, für die wir eintreten?

Mitglieder einer genossenschaftlich organisierten Hofgemeinschaft im ländlichen Speckgürtel einer Großstadt wenden sich an das zuständige Mobile Beratungsteam. Viele Menschen, die im dörflichen Umfeld oder in der Stadt wohnen, tragen das bürgerlich geprägte Projekt gemeinsam und beziehen ihr Gemüse vom Hof. Ein Gründungsmitglied, das als Teil des Vorstands jahrelang für die Finanzen des Projekts zuständig war, fällt immer häufiger durch Verschwörungserzählungen auf und vertritt diese auch gegenüber Hofbesucher*innen und in Sitzungen – nicht ohne Erfolg bei weiteren Mitgliedern. Die Beratungsnehmenden berichten einerseits von Loyalitätskonflikten, denn man habe der Person viel zu verdanken und er genieße weiterhin hohes Ansehen. Gleichzeitig bereite sein Verhalten ihnen Angst um die Zukunft, um den Ruf des Projekts und nicht zuletzt um die finanzielle Stabilität.

Esoterik – oder eher Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit?

In einem kleinen Dorf siedeln sich seit einigen Jahren vermehrt und offenbar gezielt Familien an, die der rechts-esoterischen Anastasia-Bewegung zugerechnet werden. Vorgeblich geht es um Selbstversorgung, Landleben und Gemeinschaft – dahinter stehen Demokratiefeindlichkeit und Antisemitismus. Im Ort ist die Stimmung angespannt, in Gesprächen wird immer wieder auch die Angst derjenigen Anwohner*innen deutlich, die sich öffentlich gegen die kulturelle Landnahme und das durch die Anhänger*innen der Bewegung vertretene Weltbild äußern. Einige Dorfbewohner*innen werden regelrecht unter Druck gesetzt. Zuletzt sorgten einige Familien auch für Unruhe im Schulamt, da sie ihre Kinder nicht mehr in die Schule gehen lassen.

Mobile Beratungsteams bieten Unterstützung und Analyse

Rechte Ökologie ist für die Mobile Beratung durch zunehmende Beratungsanfragen zu einem wichtigen Themenkomplex geworden: Zu den Beratungsfällen zählen Nachbarschaftsinitiativen oder Dorfgemeinschaften, wenn sie feststellen, dass Höfe in ihrer Region in rechtsextreme Hand übergehen oder von Völkischen Siedler*innen oder der Anastasia-Bewegung bewohnt und bewirtschaftet werden. Gemeinden und Kommunen wenden sich an unsere Beratungsteams, für Unterstützung im Umgang mit rechtsesoterischen Gruppen, die bspw. Gemeinschaftsgärten anlegen und antisemitische und verschwörungsideologische Positionen vertreten. Es gibt Anfragen von Gemeinden, die Unsicherheiten über Land- und Immobilienkaufversuche durch Mitglieder des sogenannten „Königreich Deutschland“ äußern und hierzu Beratung im Umgang mit einer rechten Nachbarschaft suchen.

Auch Solidarische Landwirtschaften (Solawi) wenden sich in unterschiedlichen Bundesländern ratsuchend an unsere Beratungsteams, bspw. dann, wenn einzelne Höfe oder Bioläden feststellen, dass sich unter ihren Mitgliedern oder Interessierten Reichsbürger*innen befinden. Diese Beispiele stellen nur stichprobenartig dar, wie umfangreich die demokratische Zivilgesellschaft Unterstützung im Umgang mit rechten Akteur*innen im ländlichen Raum sucht. Dabei geht es nicht nur um gezielte Versuche rechter Vereinnahmung. Auch hinter der friedvoll, gar verträumt daherkommenden Fassade Völkischer Siedler*innen und der Anastasia-Bewegung steckt eine antisemitische, rassistische und rechte Ideologie.

Die MBTs sind für alle ansprechbar, die sich mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen wollen oder müssen. Sie beraten bei ganz konkreten Schritten im Umgang vor Ort, begleiten die Entwicklung von mittel- und langfristigen Strategien und sind vernetzt mit Fachstellen und Expert*innen. Die Teams können Kontakte vermitteln und Beispiele guter Praxis in die Prozesse einbringen, die gemeinsam mit den Beratungsnehmenden an die jeweilige Situation angepasst werden können. Das Ziel der Beratung ist dabei immer, den Beratungsnehmenden Handlungssicherheit zurück zu geben und gemeinsam mit ihnen positive Veränderungen in ihrem Umfeld anzustoßen – dazu gehört auch der Blick auf Möglichkeiten der Unterstützung in ihrer Lebenswelt, um nicht allein vor dem Problem zu stehen. Zur Beratung gehören bei Bedarf auch Qualifizierungsangebote vor allem für Fachkräfte und Engagierte, die sich mit den extrem rechten Erscheinungsformen (auch) im ländlichen Raum beschäftigen wollen.

Neben der Beratung beobachten und analysieren die MBTs Entwicklungen rechter Landnahme, das Auftreten und Vorgehen extrem rechter Akteur*innen im ländlichen Raum und die Herausforderungen für die demokratische Zivilgesellschaft. Sie sind vernetzt mit bundesweiten Fachstellen und regionalen Angeboten. Damit können sie bei Bedarf an passgenaue Angebote für weitergehende Beratung verweisen, etwa bei komplexen psycho-sozialen oder juristischen Problemlagen.

Die Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus haben sich zudem im Rahmen von BMB-internen Fachaustauschen und Arbeitsgruppen im Jahr 2021 intensiv mit dem Themenkomplex Rechte Ökologie befasst. Dieses Dossier listet neben Erfahrungen und Erkenntnissen aus der Mobilen Beratungsarbeit weitere Akteur*innen im Themenfeld auf und hält Links mit Materialien zur weiterführenden inhaltlichen Auseinandersetzung bereit.

Inhalt

Rechtsextremismus und Ökologie: eine Einordnung
Schnittmengen von Rechtsextremismus und Ökologie finden sich gleich an mehreren Stellen und kommen zuweilen widersprüchlich daher:

Viele rechte Akteur*innen sind sich einig, dass die Klimakrise keine ernstzunehmende Bedrohung darstellt und negieren die wissenschaftliche Faktenlage. Zu prominenten Vertreter*innen dieser These zählen auch AfD-Politiker*innen. Aus dieser Szene kommt heftige Kritik bis hin zu Hass und Hetze – oft gepaart mit sexistischen, antifeministischen Inhalten – gegen zentrale Klimaaktivist*innen wie Greta Thunberg oder Luisa Neubeuer, die beide die Fridays for Future-Bewegung prägen.

Gleichzeitig ist ein Fokus auf Ökologie Teil rechtskonservativer Ideologie und gehört bspw. für Völkische Siedler*innen oder die Anastasia-Bewegungen auf natürliche und selbstverständliche Weise zum Weltbild, sodass nahezu unhinterfragt Heimat- und Umweltschutz rechtsideologisch gerahmt sind. Und so gibt es eben jene, die in der Debatte um Rechte Ökologie eher zweitrangig wahrgenommen werden, obwohl ihre Haltungen von einem rassistischen und antisemitischen Weltbild durchzogen sind: Dazu zählen Völkische Siedler*innen und die Anastasia-Bewegung. Rechtsextreme Perspektiven auf Naturschutz entstammen einer völkischen Weltanschauung und sind somit als historische Kontinuität zu verstehen. Beleg dafür ist u.a. der rassistisch-biologistische Blick auf homogene Gemeinschaft: „Gesucht wurde die natürliche Gemeinschaft, die durch ‚jahrhundertelange Überfremdungsprozesse‘ angeblich verschüttet worden war, um wieder die ‚ursprünglichen Wesens- und Charaktermerkmale des Deutschen‘ zu erwecken“ (Heinrich-Böll-Stiftung 2020: „Naturliebe und Menschenhass„, Seite 8).

Rechte Akteur*innen und Ökologie
Anastasia-Bewegung
Die Anastasia-Bewegung lehnt sich an die gleichnamige Heldin der Roman-Reihe des Autors Wladimir Megre an und zielt auf die autarke Lebensweise auf eigenem Land. Somit soll jede Familie Land besitzen, dort leben und sich von den Erträgen ernähren und so schließlich „die gesamte Gesellschaft in einen paradiesischen Urzustand“ zurückversetzt werden. In den Büchern wird die gegenwärtige Gesellschaftsordnung abgelehnt und ein antisemitisches Weltbild propagiert: das jüdische Volk trage selbst Schuld an seiner Verfolgung, Verschwörungen werden erzählt. In der Szene sind rechtes Gedankengut, Geschichtsrevisionismus und völkisches Denken verbreitet.

 

Völkische Siedler*innen

Ländlichen Raum zu bewohnen und zu bewirtschaften ist die einzig schlüssige Art zu leben und natürlicher Bestandteil der rechten Ideologie Völkischer Siedler*innen. Vorwiegend zielt sie auf die Erhaltung einer arischen und überlegenen Gemeinschaft. Somit ist das Weltbild Völkischer Siedler*innen rassistisch, antisemitisch, homophob und sexistisch. Es besteht die Gefahr, Völkische Siedler*innen-Familien mit arglosen Öko-Aussteiger*innen zu verwechseln.

 

Reichsbürger*innen

Bei Reichsbürger*innen handelt es sich um eine äußerst heterogene Szene, die im Kern demokratiefeindlich und rechtsextrem ist und aus der heraus Berührungspunkte zu rechter Ökologie bestehen. Reichsbürger*innen gründen bspw. auf einem Bauernhof ihren eigenen Staat, da sie die Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen.

Fazit & Ausblick
Der Rückzug aufs Land, die Suche nach alternativen Lebenskonzepten und nach einer autarken Lebensweise hat besonders in Zeiten der Corona-Pandemie neuen Aufschwung erhalten – das belegen nicht zuletzt die deutlich gestiegenen Zahlen von Anastasia-Anhänger*innen. Konnten an alternativen Lebensformen Interessierte vor einigen Jahren noch naiv und unwissentlich in Kreise wie die der Völkischen Siedler*innen oder Anastasia geraten, dürfte das heute kaum mehr passieren. Zu groß ist mittlerweile auch das mediale Schlaglicht auf die rechtsextremen Strukturen der in ländlichen Regionen angesiedelten Szenen. Wer mit Völkischen Siedler*innen oder Anastasia aufs Land zieht, muss wissen, mit wem er*sie es zu tun hat und welche Ideologien mit dem von außen friedvoll und harmlos erscheinenden Lebensstil einhergehen.

Es ist unabdingbar, bei diesen Entwicklungen ganz genau hinzuschauen: Die freundlich anmutende Fassade der ökologisch bewussten, guten und harmlosen Gemeinschaft wird genutzt, um sich in dörfliche und ländliche Strukturen zu begeben, in denen Gemeinden froh sind, wenn verlassene Höfe wieder bewohnt und bewirtschaftet werden. Aus Sicht Alteingesessener ist es dann erstmal positiv, dass junge Familien sich um das Land kümmern und Dörfer wiederbeleben. Dabei liegt diesem oftmals als zufällig daherkommenden Interesse an einem Hof eine nicht zu verharmlosende Strategie zugrunde: Denn Völkische Siedler*innen oder Anastasia halten ihre Lebensweise und die damit verknüpfte rechte Ideologie für die einzig richtige. Daher werden Regionen, in denen mit wenig bis geringen Widerstand gerechnet wird, gezielt für die Ansiedlung ausgewählt.

Zur Strategie gehört auch der beabsichtigte Kauf von ländlichen Immobilen in Regionen, in denen ökologische Projekte oder Solawis aufgebaut sind, um diese für sich zu beanspruchen. Das geschieht mitunter durch gezielte Mitgliederwerbung aus der jeweiligen Szene, um z.B. einen Hofladen übernehmen zu können. Oftmals endet die Auseinandersetzung mit der Ansiedlung von Anastasia, Völkischen Siedler*innen oder auch Reichsbürger*innen nicht bei nachbarschaftlichen Problemen: Auch die anliegenden Schulen werden durch die Eltern vor Herausforderungen gestellt, die ihre Ideologien im schulischen Kontext verbreiten wollen, die die Wissensvermittlung boykottieren, ihre Kinder nicht mehr in die Schulen schicken oder in der Region eigene Schulformen aufzubauen versuchen.

Die Mobile Beratung ruft dazu auf, achtsam zu bleiben: Hinschauen, wer nebenan den Hof kauft und die Mobile Beratung um Unterstützung, Einschätzungen und Beratung dazu holen. Die Mobile Beratung arbeitet die unterschiedlichen Bedürfnisse der Ratsuchenden heraus und nimmt diese ernst, sie kann Einschätzungen zur Gefahrenlage bieten und dabei unterstützen, Konzepte zu entwickeln, die individuell zum jeweiligen Fall und für die Region passen, um die Dorfgemeinschaft im Umgang mit den neuen rechtsextremen Nachbar*innen und für anstehende Problemlagen zu stärken.

Deutschlandfunk Kultur berichtet über einen aufsehenerregenden und medial beachteten Fall, der vom Mobilen Beratungsteam in Brandenburg begleitet wurde: „Anastasia“-Sekte in der Ostprignitz – Völkische Siedler bedrängen Anwohner

Weiterführende Infos

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Literatur und Studien
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